Seit der Scholastik wird die abendländische Philosophie von der – in ihren Wurzeln auf Aristoteles zurückreichenden – Substanzmetaphysik dominiert. Sie ist bis heute das Denkparadigma, welches vor allem die Naturwissenschaften leitet und mitverantwortlich ist für einige der bedeutsamsten Dichotomien und Aporien in unserer Zivilisation: Die Bifurkation der Welt in Noumenon und Phänomen, das Leib-Seele Problem mit der Unmöglichkeit, geistige Phänomene angemessen zu erklären, und die eigentümliche Schwierigkeit des Menschen, vernetzt zu denken und die Welt in ihrer organismischen Verwobenheit wahr- und ernst zunehmen. Zwar kamen seit Heraklit immer wieder Denkweisen auf, welche die Welt als Vorgang, Ereignis oder Prozess begreifen, doch wurden diese teleologisch (Aristoteles, Hegel, Marx) oder als Kreislaufgeschehen (Nietzsche) gedeutet. Modernere Auffassungen wurden von Henry Bergson, Charles S. Peirce oder William James dargelegt.
Die durchdachteste und präziseste Darstellung einer Prozessphilosophie wurde 1929 vom englischen Mathematiker und Philosophen Alfred North Whitehead formuliert. In Prozess und Realität stellt er eine Metaphysik vor, die in der Lage ist, jeden Aspekt der menschlichen Erfahrung, von der Physik über die Ästhetik bis zur Religion erkenntnistheoretisch und ontologisch zu fundieren. Aufgrund ihrer Komplexität und der begrifflichen Kühnheit wurde sie im 20. Jahrhundert sehr zurückhaltend aufgenommen. Als ein konsistentes Denkgebäude, welches Relativitätsphysik und Quantentheorie zu integrieren vermag, wäre sie heute geeigneter denn je, unsere Sicht auf die Welt adäquater zu gestalten und die organismische Vernetztheit der Dinge offensichtlich zu machen. Mehr noch: sie erlaubt uns eine Vorstellung davon, „was die Welt im innersten zusammenhält.“
Ausgehend von unserer eigenen Erfahrung wollen wir uns diesem epochalen Werk so annähern, wie Alfred North Whitehead es vorgezeigt hat: „Metaphysik ist die Transzendierung des Offensichtlichen“.