Sinnentleerte Entschuldigungen – eine Miniaturtheorie der Semantik

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Sinnentleerte Entschuldigungen – eine Miniaturtheorie der Semantik  -

Es vergeht kaum ein Tag, an dem sich nicht irgendjemand medienwirksam öffentlich entschuldigt. Politikerinnen und Politiker entschuldigen sich für ihr skandalöses Verhalten, Unternehmen entschuldigen sich für ihre Betrügereien, Prominente entschuldigen sich für dumme Aussagen. Doch auch abseits solcher Inszenierung: Man entschuldigt sich fürs Nichtkommen, fürs Zuspätkommen, fürs nicht Zurückrufen, für einen Fehler, für die falsche Wortwahl, für eine andere Meinung und wer weiß wofür nicht sonst noch alles. Eine Entschuldigungsgesellschaft! Doch leider mangelt es dieser Gesellschaft zusehends an semantischem Gespür, was zur Folge hat, dass der Begriff der Entschuldigung – und im Übrigen nicht nur dieser – zu einer Sprachruine verkommt, zu einem ganz sinnentleerten, abgewrackten Stück Sprache. Das ist insofern problematisch, als es sich im Fall der Entschuldigung um eine wichtige moralische Institution unseres Zusammenlebens handelt. Doch worin liegt das Problem?

Nun: Um nicht in die Verlegenheit zu geraten, sagen zu müssen, wofür man sich eigentlich entschuldigt und benennen zu müssen, wem gegenüber man eine Schuld trägt, wird nicht selten das Objekt der Entschuldigung wie auch der Adressat derselben unter den Tisch gekehrt. „Ich entschuldige mich.“, tönt es daher landauf, landab. Doch wer sich entschuldigt, der kann sich sinnvollerweise nur bei jemandem für etwas entschuldigen. Sich bei niemandem für nichts zu entschuldigen, ist sinnlos. Denn was will denn mit einer Entschuldigung anderes erreicht sein, als sich zu entschulden? Eine Schuld aber ist in moralischer Hinsicht immer eine Schuld gegenüber jemandem im Hinblick auf etwas. Das ist der erste Teil des Problems. Und zweitens findet sich gerade in diesem ›Ich entschuldige mich‹ das eigentlich wirkmächtige Moment der fortschreitenden Begriffserosion: Über weite Strecken nämlich entschuldet man sich damit – bei wem auch immer und wofür auch immer – selbst. Doch wer so redet, der weiß nicht, was er sagt; mit fatalen Folgen. Wer sich nämlich etwas zu Schulden hat kommen lassen und sich dieser Schuld in einem Akt der Selbstabsolution durch das ›Ich entschuldige mich‹ – entledigt, der eliminiert nicht nur den Sinngehalt des Begriffs der Entschuldigung, führt ihn sozusagen ad absurdum, sondern zerstört gleichsam die Institution der Entschuldigung als solches. Denn: Niemand kann sich selbst entschulden. Das ist das konzeptionelle Rückgrat dieses Begriffs in moralischer Perspektive, und es verweist auf einen Gerichtshof, dem man in der betreffenden Angelegenheit nicht selbst vorzustehen vermag. Nur unter dieser Voraussetzung ist und bleibt die Entschuldigung eine sinnvolle moralische Institution. Entschulden kann einen immer nur der andere. Und die adäquate Formel ist daher auch die der Bitte, denn erst der Zusammenklang eines so aufgefassten Begriffs der Entschuldigung mit der Bitte um eben dieselbe offenbart ihren eigentlichen moralischen Wert: Einsicht des eigenen Fehlverhaltens, Empathie und Hoffnung auf Vergebung.


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